13|03|2023

Fachkraft „made in Germany“ – Thüringen verliert 20% seiner Fachkräfte

Wo kommen unsere Fachkräfte in Zukunft her? Wie ändert sich die Arbeitswelt? Warum ist der Fachkräftemangel auch bei beruflicher Bildung akut? Wie kann gezielte Migration erfolgreich sein und wie heben wir die Potentiale bei geringqualifizierten Menschen? Diese Fragen standen im ERFURT Bindungszentrum ebz am 28. Februar im Mittelpunkt des Wirtschaftsforums der Sozialdemokratie Thüringen e.V.

„In den nächsten Jahren werden Thüringen laut Modellrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung u.a. durch den demographischen Wandel ca. 220.000 Fachkräfte verloren gehen, was einer Quote von etwa 20 % entspricht“, so SPD-Staatssekretärin Dr. Katja Böhler aus dem Wirtschaftsministerium. Diese Lücke wird mit deutschen Arbeitnehmern oder aus der EU nicht aufzufüllen sein.
Wir werden also auf Arbeitskräfte aus aller Welt angewiesen sein, und zwar in einem nie gekannten Umfang.

Als größtes Problem, um der Lösung dieses Problems näher zu kommen, wurde eine mangelhafte Willkommenskultur ausgemacht: „Wir müssen vom Türsteher zur Empfangsdame werden“ brachte es Professor Dr. Michael Behr vom Thüringer Ministerium Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie mit einem Zitat auf den Punkt. Zwar verfüge Thüringen über eine gesunde Wirtschaftsstruktur und eine hohe Beschäftigungsquote, was jedoch gleichzeitig mit einem deutlichen Rückgang von Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten Jahren verbunden sei. „Wir müssen das beste integrationsfreundlichste Bundesland werden, sonst werden wir viel verlieren.“ Deshalb sei es wichtig, den Migranten den Einstieg und die Integration zu erleichtern. Auf der anderen Seite gehöre aber auch dazu, die Bevölkerung dabei „mitzunehmen“. Das lasse sich nur erreichen, wenn alle Akteure das Thema „Zuwanderung angstfrei publizieren“, so Prof. Behr.

Es gäbe für die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte bereits jetzt schon sehr gute Ansätze in Thüringen, „aber es reicht eben nicht“, um die benötigten Zahlen zu bringen, so Dr. Böhler. Deshalb müsse nach zusätzlichen Lösungen gesucht werden. Schlechte Sprachkenntnisse, mangelnde Begleitung im Alltag und vor allem zu wenig persönliche Kontakte seien hierbei große Hürden. Fehlen würden zudem oft klar umrissene Zukunftsaussichten. „Wir brauchen neben der Fortführung und Ausweitung bestehender Programme einen längerfristig angelegten und koordinierten Ansatz, der Menschen aus dem Ausland davon überzeugt, nach Thüringen zu kommen, um hier zu leben und zu arbeiten und im Idealfall hier ihre Ausbildung zu absolvieren. Damit könnten wir das weltweit gelobte deutsche duale Ausbildungssystem wieder stärken und hätten damit sozusagen die Fachkraft „made in Germany“, statt auf langwierige Anerkennungsverfahren angewiesen zu sein“.

Ein „verstärktes Zugehen“ auf Jobcenter, Arbeitsagenturen, Sprachkursträgern sowie Vereinen wie MigraNetz oder anderen Trägern empfiehlt Andreas Knuhr, Teamleiter der Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung. Auch internationale Studierende seien eine interessante Zielgruppe. „Viele Ausländer bringen neben praktischen Erfahrungen und Potenzialen eine hohe Motivation mit.“ Deshalb sollten sich Unternehmen hier mehr öffnen und diese bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Sprachkurse, Berufsvorbereitung weitere Qualifizierungen sowie die Anerkennung bereits vorhandener Qualifizierungen und die Zusammenarbeit mit lokalen Netzwerken seien hier wichtige Unterstützungsangebote, so Knuhr.

(Unter dem Motto „Zeitenwende in der Thüringer Arbeitswelt“ diskutierten Dr. Katja Böhler (Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft), Prof. Dr. Michael Behr (Thüringer Ministerium Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie) und Andreas Knuhr (Teamleiter Thüringer Agentur für Fachkräftegewinnung) Potentiale und Perspektiven.
Gastgeber und ebz-Geschäftsführer Frank Belkner stand für Fragen über die Aus- und Weiterbildung zur Verfügung.
Moderiert wurde der Abend mit etwa 30 Gästen aus Wirtschaft, Verwaltung und Verbänden vom stellvertretenden Vorsitzenden des Wirtschaftsforums Jörg Neigefindt.)

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